Die Gewaltfreie Kommunikation nach Marshall Rosenberg


von Infoblatt Mediation Magazine - Sommer 1996


Nein, Rosenberg ist kein Offizier, "Marshall" ist einfach nur sein Vomame. Sein frühes Leben allerdings entsprach durchaus dem martialischen Klang seines Vornamens: Rosenberg wuchs als Jude in einem überwiegend von Schwarzen bewohnten Viertel einer US-amerikanischen Stadt auf. Um dort zu bestehen, war körperlicher Einsatz gefragt.

Auch später, z. B. im Psychologiestudium, war er von Menschen umgeben, die überzeugt waren, daß man sich im Leben durchboxen müsse, wenn auch mit feineren Mitteln: indem man andere bewertet und abwertet. Inzwischen fühlt sich Rosenberg selbst mit positiven Bewertungen unwohl. Wenn ich sage: "Du bist ein guter Mensch", zeige ich, daß ich mich für jemanden halte, der genau weiß, wer der andere, der Bewertete, ist. Und eben diese Haltung verhindere es, so Rosenberg, sich wirklich in andere Menschen einzufühlen. Einfühlung aber steht im Zentrum der gewaltfreien Kommunikation, wie Rosenberg sie in den vergangenen 25 Jahren entwickelt hat. Rosenberg hat mit seiner gewaltfeien Kommunikation große Erfolge gehabt, etwa bei der Vermittlung in interkulturellen Konflikten in Israel und bei klärenden Gesprächen mit rebellierenden Schülern und revoltierenden Häftlingen.

Giraffe oder Wolf - Herz oder Zähne zeigen

Seit einigen Jahren gibt Rosenberg sein Wissen auch in Deutschland in Seminaren weiter. Protagonisten dieser überaus spannenden Seminare sind zwei Handpuppen mit sehr unterschiedlichem (Sprach-) Verhalten: Der Wolf und die Giraffe. Die Giraffe ist das Landtier mit dem größten Herzen und dem längsten Hals, dient daher als Metapher für Liebe und Weitsicht. Die "Giraffe" kann eine Kommunikationssituation gut einschätzen, ist einfühlsam, handelt und kommuniziert verantwortlich und spricht offen über ihre Gefühle und Bedürfnisse. Der Wolf dagegen zeigt keine Gefühle, sondern kommandiert, wertet ab und klagt an; er diagnostiziert andere Menschen. ("Du bist egoistisch! ") und lehnt Verantwortung ab ("Es gibt Dinge, die man tun muß, ob man will oder nicht.") 

Wolf- und Giraffensprache stehen qualitativ zueinander wie (anklagende) Du-Botschaften und (um Verständnis und Verständigung werbende) Ich-Botschaften: Der Wolf sagt z. B.: "Immer latschst du mit deinen Dreck-Potten durch den Flur und ich darf den ganzen Kram wieder sauber machen, dir ist es völlig egal, wie es hier aussieht, du machst mich rasend!"

Das gleiche auf "Giraffisch": "Oh, ich sehe gerade, dass du mit schmutzigen Schuhen in den Flur kommen willst. Ich ärgere mich darüber, weil ich mich nur  wohl fühle, wenn die ganze Wohnung einschliesslich Flur sauber ist und ich gerade gewischt habe. Kannst du bitte deine Schuhe ausziehen und sie vor der Tür stehenlassen. 
 

Die Struktur der Giraffensprache ist also:

1 ) Beobachtungen mitteilen (ohne Wertung, also: "Schuhe", nicht, "Dreck-Potten")

2) Gefühle offen mitteilen ("ich ärgere mich")

3) Wünsche. Bedürfnisse. Wertvorstellungen offenbaren ("Ich fühle mich nur in einer sauberen Wohnung wohl."). 

4) Bitten äußern ("Bitte ziehe deine Schuhe aus...").

Das entspricht ungefähr der üblichen Form der Ich-Botschaft. Rosenberg hat diese allerdings bis zur Perfektion weiterentwickelt. Er führt z. B. ganze Kataloge von Ausdrücken auf, die originäre Gefühle beschreiben (z. B. Ärger und Angst) und andere, die das nicht tun (z. B.: "Ich habe das Gefühl, daß du mich nicht verstehst), bzw. die eher dazu dienen, den anderen zu bewerten oder zu diagnostizieren (z. B: "Ich fühle mich ausgenutzt."). In Workshops zur gewaltfreien Kommunikation wird einem bewußt, wie schwer es ist, reine Gefühle auszudrücken. 

Wichtig außerdem: Die Entstehung unserer Gefühle hängt immer mit unseren ganz persönlichen Bedürfnissen und Wertvorstellungen zusammen: Wer den Flur als Ein-gangsbereich betrachtet, in dem noch mit Straßenschuhen gelaufen wird, kann durch Fußstapfen im Flur nicht verärgert werden. Indem ich aber mein besonderes Bedürfnis danach offenbare, daß die ganze Wohnung einschließlich Flur sauber ist, übemehme ich mit Verantwortung für meine Gefühle, die entstehen, wenn der Flur dreckig wird. Damit sind die Weichen weg von der Anschuldigung hin zur Verständigung gestellt.

Und zuletzt die Bitten: Wer einfach nur erklärt, weshalb er sich ärgert, hinterläßt bei dem anderen oft nur Verwirrung oder Ärger. Daher sollte zum Schluß eine konkrete Bitte in positiver, aktionsbezogener Sprache stehen, die der andere tatsächlich umsetzen kann - aber nicht muß. Zum Beispiel: Wenn ich traurig bin, weil mein Bedürfnis nach körperlicher Nähe unbefriedigt ist, bitte ich mein Gegenüber, mich in den Arm zu nehmen. Diese Person hat nun die freie Entscheidung, ja oder nein zu sagen. Wenn sie mich mit Giraffenohren hört, aber z. B. das Gefiihl hat, daß sie mich gerade nicht trösten kann, weil sie lieber alleine sein will, bedankt sie sich bei mir - z. B. für meine Offenheit.

Giraffen sind einfühlsam und freundlich - aber nicht nett. Sie opfern sich nicht für andere auf, das bedeutet, daß sie in Kontakt mit ihrem eigenen Selbst, ihren Gefühlen und Bedürfnissen sind und Verantwortung für diese übernehmen.

Nun haben wir die Wahl, jemand anderen zu suchen, der bzw. die meine Bitte, in den Arm genommen zu werden, erfüllt, oder ich bleibe mit mir alleine und gebe mir selber Einfühlung, das heißt, daß ich mit mir selbst liebevoll umgehe.

Die Giraffe ist sich bewußt über das Risiko, daß ihre Bitte mit einem Nein zurückgewiesen werden kann. Sie ist für sich selbst verantwortlich.